Im Artikel über die Langeweile haben wir uns angeschaut, wie wertvoll es ist, mal nicht beschäftigt zu sein. Vielleicht erscheint das Plädoyer für schwarze Löcher im Alltag zunächst absurd. Deshalb beschäftigen wir uns in diesem Artikel mit dem Nein sagen, wie wir geistigen Freiraum schaffen und warum das so wichtig ist.
»Nein«
Wir alle sind Ja-Sager. Klar doch, schließlich wird jede Zusage gefeiert. Wer oft zustimmt, wird belohnt. Und wir lieben Belohnungen. Ein paar Beispiele:
In jedem x-beliebigen Laden: »Ich bin neu. Kauf mich!« – Ja
–> Belohnung: Glücksgefühle
Bewerbungsgespräch: »Bei uns wirst du am Limit arbeiten. Dabei?« – Ja
–> Belohnung: Job
Chef: »Kannst du heute wieder länger bleiben? Die Deadline…« – Ja (
–> Belohnung: Ansehen
Doch wer sagt eigentlich, dass diese Glücksgefühle lange anhalten, der Job mit unseren Prinzipien übereinstimmt und Beziehungen nicht durch Überstunden leiden? Wir sagen so schnell »Ja«, dass keine Zeit bleibt, die Entscheidung zu überdenken.
Pythagoras soll gesagt haben:
Die kürzesten Wörter, nämlich ‚ja‘ und ’nein‘, erfordern das meiste Nachdenken.
»Ja« kommt bei vielen Menschen (mir eingeschlossen) oft zu schnell, »Nein« häufig gar nicht oder zu spät.
Warum nicht? Weil wir uns der Zeit des Nachdenkens beraubt haben.
Mit ständiger Vernetzung. Mit der dreizehnten Verpflichtung (auf die wir eigentlich keinen Bock haben). Mit der Sucht nach kurzfristigem Glück. Woher das kommt – ob vom Kauf- oder Like-Rausch – ist egal. Oder auch nicht. Aber auch das ist egal. Schließlich bleibt keine Zeit, um darüber nachzudenken.
N.G.A.F.
N.G.A.F. ist die Abkürzung für den ersten Schritt des Auswegs aus der ständigen Ablenkung vom Wesentlichen: Not Giving A F*ck. (In Anlehnung an The Subtile Art of Not Giving A F*ck von Mark Manson – hier habe ich eine Kurzrezension geschrieben).
Wie das Wetter in drei Tagen wird? – N.G.A.F.
Der Postbote hat wieder weder Hallo noch Tschüss gesagt? – N.G.A.F.
Der neue Post auf Instagram hat 27 Likes weniger als der Letzte? – N.G.A.F.
All diese Dinge haben eines gemeinsam: Sie sind unwichtig. Und doch beschäftigen wir uns viel zu häufig viel zu lange und viel zu intensiv mit ihnen. Dem Wetter ist es herzlich egal, ob wir uns heute auf die Vorhersage für in drei Tagen einstellen, schonmal die Sonnencreme auspacken und es dann doch regnet.
Warum sie unwichtig sind, will ich mit einem kleinen Gedankenexperiment zeigen. Ich habe mir angewöhnt, mir die hypothetische Frage zu stellen:
Ist das etwas, das in der Verfilmung meines Lebens seinen Platz finden würde?
Warum Verfilmung und keine geschriebene Biografie? Ein Film ist kürzer und ich muss noch gründlicher überlegen, ob ich mit N.G.A.F. oder G.A.F. (siehe unten) reagiere. Ich weiß, es klingt im ersten Moment eingebildet sich die Verfilmung des eigenen Lebens vorzustellen. Aber ist es das wirklich? Nein.
Es hilft, die wirklich wichtigen Dingen von Unwichtigem zu trennen, mehr Gutes zu tun und Entscheidungen nach langfristigen Kriterien zu treffen, statt sich kurzen Gefühlsorgasmen (wie beim Shopping sinnloser Produkte) hinzugeben.
Worauf ich hinaus will: Der erste Schritt zu mehr Zeit und geistiger Kapazität für das Wesentliche ist es, Unwichtigem keine unnötige Aufmerksamkeit zu schenken.
»Ja«
Nachdem wir uns Freiraum geschaffen haben, indem wir uns weniger mit Unwichtigem beschäftigen und öfter »Nein« sagen, ist es jetzt an der Zeit »Ja« zu sagen. Ja zu unseren Prinzipien. Ja zu unseren Träumen. Ja zu uns.
In Essentialism stellt Greg McKeown drei simple Wahrheiten vor, die wir akzeptieren sollten. Ansonsten werden wir für immer der Illusion erliegen, dass »mehr = besser« oder »ja = gut« ist.
- I choose to…
- Only a few things really matter.
- I can do anything but not everything.
Erklärung:
- Ich entscheide, was ich tue.
- Es gibt nur Weniges, das wirklich wichtig ist.
- Ich kann theoretisch alles tun, aber nicht alles gleichzeitig.
1. Entscheidungen haben immer die gleiche Folge: Entweder wir sagen in irgendeiner Form zu (ja, positiv) oder ab (nein, negativ). Keine Antwort auf ein Entscheidungsproblem ist keine Option. Es ist keine Entscheidung.
2. Wenn wir akzeptieren, dass es nur wenige wirklich wichtige Dinge gibt, müssen wir das Nein sagen lernen. Ansonsten können wir uns nicht auf diese wenigen wichtigen Dinge fokussieren und verschwenden unsere Energie an allen Ecken und Enden, bloß nicht da, wo wir sie am dringendsten brauchen.
3. Wir können uns aus einem riesigen Pool aller Möglichkeiten theoretisch alles aussuchen. Bloß dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Entscheidung Konsequenzen hat. Manchmal wünsche ich mir eine Unterscheidung von »alles« wie im Englischen mit »anything« und »everything«.
Giving a F*ck
N.G.A.F. hilft uns, unwichtigen Ballast loszuwerden. Jetzt geht’s darum, wie wir G.A.F.-Dinge finden – also das, was uns interessiert, worauf wir Lust haben, was zu unserer Philosophie passt. Warum es so wichtig ist, erst mal »die richtigen Dinge zu tun«, bevor wir »die Dinge richtig tun«, zeigt das Zitat von Joseph Campbell:
There is perhaps nothing worse than reaching the top of the ladder and discovering that you’re on the wrong wall.
Zu deutsch:
Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als eine Leiter zu erklimmen und oben zu erkennen, dass du an der falschen Wand stehst.
Ist Nein sagen okay?
Wenn es fragwürdig ist, zu seinen Prinzipien zu stehen und Dinge abzuweisen, die dem entgegen stehen, sollten wir unsere moralischen Vorstellungen überdenken. Nein sagen ist die aufrichtige Konsequenz, wenn es darum geht uns selbst treu zu sein. Wenn jemand deine Entscheidung zum Verneinen nicht akzeptiert, dann mangelt es ihm oder ihr an Empathie.
Nein sagen wird oft stigmatisiert. Wir haben Angst davor, als egoistisch zu gelten und ausgeschlossen zu werden. Ist das wirklich die Konsequenz eines Neins? Nein.
Wir wirken dadurch authentisch, prinzipientreu, wir verschaffen uns Respekt und Ansehen. Schließlich haben nicht nur wir Angst davor Nein zu sagen, sondern auch unser Gegenüber. Überwinden wir diese Angst, bringt uns das Respekt ein. Aber vor allem schöpfen wir Selbstvertrauen.
Denn wir sind uns sicher: Wir stehen zu dem, wofür wir stehen.
Nein sagen ist also nicht nur okay. Zu wissen, wofür man steht (und wofür nicht) ist essenziell für ein glückliches und erfülltes Leben.
Wie siehst du das?
Bis bald,
Jan
Nikolai Weidner meint
Worte die zum nachdenken anregen Danke, Jan für den Artikel
Nein sagen fällt mir auch viel schwerer…Es schwingt oft ein konditioniertes Gefühl von Angst mit, wenn man mal nicht den gewohnten Weg weiter geht ♂️
Jan Rein meint
Hey Nikolai,
danke für deinen Kommentar! Nein sagen heißt halt eben oft auch den bisherigen Weg infrage zu stellen und das eigene Glaubensgerüst zu hinterfragen. Natürlich nicht bei jeder kleinen Entscheidung, aber immer dann, wenn es um etwas Grundlegendes geht.
Liebe Grüße,
Jan