Vor einem Jahr habe ich mich zum letzten Mal bei Facebook eingeloggt. Es folgte ein Jahr ohne soziale Netzwerke. Ein Jahr voller Erkenntnisse – über mich, mein Medienverhalten und die Digitalisierung.
Lernt man Leute kennen, wird man irgendwann gefragt, ob man sich nicht bei Facebook vernetzen könne. Oder wie man bei Instagram heiße. Oder bei LinkedIn. Meine Antwort in 2018 war immer dieselbe: Ich nutze keine sozialen Netzwerke.
Die Reaktion glich der, als hätte ich gesagt, ich würde keinen Alkohol trinken. Es schwang befremdliche Bewunderung mit, wobei das Befremdliche überwog. Ohne Social Media ist man Außenseiter.
Bei Fragen nach dem Grund hätte ich das Pendant zu „Ich brauche keinen Alkohol, um Spaß zu haben“ antworten können. Tat ich aber nicht. Stattdessen sagte ich: „Ist nur ein Experiment.“ Erleichtertes Aufatmen beim Gegenüber. Scheinbar bin ich kein Spießer, der soziale Netzwerke kategorisch ablehnt. Sondern nur ein experimentierfreudiger Mensch, der zeitweise auf Social Media verzichtet.
Das ist so, als würde ein Alkoholabstinenzler einen medizinischen Grund vorschieben. Oder, dass er einfach in den letzten Wochen zu viel gesoffen habe und mal wieder runterkommen müsse.
1. FOMO ist real
Die ersten Wochen dachte ich, die Welt würde sich drehen, während ich stillstand. Die Angst etwas zu verpassen (FOMO) umarmte mich fest. Logisch, ich verpasse tatsächlich Vieles. Eben alles, was in sozialen Netzwerken geteilt wird.

Darunter vieles, was ich heute gerne verpasse:
- Lärm
- Informationen, die mich nicht wirklich interessieren (oder was angehen)
- Selbstgefälligkeit
- Werbung
- anonyme Streitgespräche
2. Man sucht sich Ersatz
Bevor ich ein Jahr auf Social Media verzichtete, rechnete ich hoch wie viel Zeit ich dadurch gewinnen würde. Etwa 2 Stunden täglich, in denen ich so viel machen könnte. Ja, könnte.
Tatsächlich las ich mehr Bücher als 2017 (etwa doppelt so viele) und entdeckte Belletristik für mich, nachdem ich zuvor fast nur Sachbücher las. Aber trotzdem suchte sich mein Hirn Wege, sich abzulenken. Ich spielte mehr Videospiele (allen voran Red Dead Redemption 2) und schaute etwas mehr Serien und Filme als im Vorjahr.
Zumindest konsumierte ich Filme, Serien und Videospiele dieses Jahr ohne einen second screen. Als second screen bezeichnet man den zweiten Bildschirm, meist Smartphone oder Tablet, das man während dem Filmabend nutzt. Zum Beispiel, um Social Media zu checken.
3. Weniger digitale Kommunikation, mehr Begegnungen
Eine der häufigsten Fragen, die mir per Mail oder Kommentar gestellt wurde, war, ob ich denn weiterhin WhatsApp nutze. Ja, ich nutzte WhatsApp.

Mein Nutzungsverhalten änderte sich jedoch grundlegend. Ich strich das Instant aus Instant Messaging und antwortete dann, wann es passte. So verlor die digitale Kommunikation an Dringlichkeit. Selbiges gilt für E-Mail.
Schön fand ich den Vergleich von Isabell Prophet im Interview, das ich mit ihr für meinen Podcast aufnahm:
Wenn es brennt, rufst du die Feuerwehr an. Du schreibst ihr keine E-Mail.
Isabell Prophet’s Tipp für die Wahl des passenden Kommunikationskanals
Bei weniger digitaler Kommunikation erlebte ich mehr Begegnungen, genoss die analoge Kommunikation ohne Ablenkung. Und weil zumindest Freunde wussten, das ich ein Jahr ohne Social Media lebte, hatte das einen positiven Effekt auf sie. Nur selten nahmen sie ihr Handy raus, während wir zusammen waren.
4. Es ist schwer, gehört zu werden
Wenn sich viele Millionen Menschen in sozialen Netzwerken tummeln, während man selbst abwesend ist, wird es schwer, gehört zu werden. Doch das nahm ich in Kauf. Und wurde belohnt.
Die Qualität des Austauschs per Mail, über den Postweg oder in den Kommentaren war enorm. Seitenlange E-Mails mit authentischen Meinungen und Erfahrungen sind mir tausendmal lieber als Likes und Kommentare, die man eilig überfliegt. Qualität vor Quantität.
Es war zwar schwerer, Menschen zu erreichen. Aber die, die ich erreichen konnte, waren jene, die von meiner Message erreicht werden wollten.
5. Soziale Netzwerke haben ihre Unschuld verloren
Die Skandale um Facebook ebben nicht ab. Mark Zuckerbergs Image wandelte sich in 2018 endgültig vom unschuldigen Hoodie-Unternehmer zum Datenteufel.
Begriffe wie Digital Burnout, Digital Detox und FOMO sind längst mehr als Warnsalven von Fortschrittsskeptikern. Immer mehr junge Menschen spüren: Das Social in Social Media ist nur eine Farce.
Übrigens: Nächstes Jahr wird Facebook auch in WhatsApp Werbung schalten. Ein weiterer Grund sich nach Alternativen umzusehen (z. B. Telegram), die eigene Mediennutzung kritisch zu hinterfragen und bewusster zu gestalten.
6. Weniger Vergleichen mit anderen
Sich ständig mit den Highlights fremder Leben zu konfrontieren, kann einen Vorteil haben: Motivation. Diese Art der Motivation entsteht aber erst durch den Vergleich des zu Schau gestellten Lebens der anderen mit dem eigenen.

Ein Nebenprodukt dieses Vergleichs ist Frust. Wenn daraus überhaupt irgendwann Motivation entsteht, handelt es sich meist um extrinsische Motivation. Man will so aussehen wie sie. So viel reisen wie sie. Sich so Instagram-tauglich bewegen wie sie.
Externe Motivation kann interner Motivation nie das Wasser reichen. Etwas nur wegen Geld zu tun (extrinsische Motivation), ist nicht gleichzusetzen mit dem Gefühl etwas zu tun, weil es dir Spaß macht (intrinsische Motivation).
Dazu musst du wissen, was du willst. Nicht, was du willst, um jemandem zu gefallen (z. B. deinen Followern). Sondern dir selbst. Was mich zum nächsten Punkt führt.
7. Mehr Zeit für mich
Im Jahr ohne Social Media fehlte mir ein einfacher Ausweg. Der Griff zum Smartphone verlor schlagartig seinen Reiz. Ohne soziale Netzwerke fiel die Ablenkung schwerer. Es ist deutlich leichter, in der Bahn sein Smartphone zu zücken, als sich in eine Lektüre zu vertiefen.
So war ich teilweise gezwungen, öfter und länger in mich reinzuhören. Stille auszuhalten. Leere, Angst und Schmerz zu ertragen. All das machte das Jahr 2018 nicht einfacher; ich war vielleicht nie weiter weg von good vibes only. Dafür aber auch mir selbst nie näher.
Hallo Jan,
ich bin schon lange im überlegen einiger meiner Sozial-media-Apps vom Handy zu löschen, da ich mit meinen 18 Jahren sehr viel am Handy bin. Vor paar Wochen habe ich es schon mal versucht aber es hat nicht wirklich geklappt, weil wir Ferien hatten.
Durch Zufall habe ich heute deinen Blog gefunden und schon einige deiner Artikeln gelesen. Ich glaube, dass ich es ab Februar auch durchziehen werde. Zwar weiß ich nicht, ob ich es schaffen werde aber wenn du es geschafft hast, dann werde ich es wohl auch hinkriegen.
Liebe Grüße und danke für die Motivation!
Hallo Jan,
danke für dein Experiment und deine geteilte Erfahrung.
Lg
Anna
Hi Anna,
danke für deinen Kommentar! 🙂
Hallo Jan,
Respekt, dass du das so durchgezogen hast! Ich habe mich nun nach langem hin und her auch von meinem Social Media Leben getrennt. Mich frustrierte irgendwann das Vergleichen mit anderen ging mir auf die Nerven. Ich hoffe, dass ich es auch so durchziehen kann wie du!
Hallo Jan,
Ich bin heute durch Zufall auf diesen Blog Eintrag von dir gestoßen und finde dein Experiment ebenfalls sehr interessant. Ich bin 26 Jahre alt und nutze schon seit Jahren kaum noch Social Media. Instagram und Twitter habe ich noch nie genutzt und meinen Facebook Account habe ich dieses Jahr gelöscht, nachdem ich mich sowieso nur alle halbe Jahre mal eingeloggt habe. Mir ist über die Jahre aufgefallen, dass einige Trends und Entwicklungen, insbesondere neu gehypte Influencer oder Apps oder Vergleichbares vollkommen an mir vorbei gegangen sind. Manchmal führt das schon dazu, dass ich mich abgehängt gefühlt habe/ fühle. Hast du damit auch Erfahrungen gemacht und falls ja, wie bist du damit umgegangen?
Ich freue mich auf eine Antwort von dir.
Liebe Grüße Nathalie
Hi Nathalie,
ich kenne das Gefühl vor allem als FOMO (Fear of Missing out). Ob ich irgendwelche Influencer mit 3+ Mio Abos nicht kenne, ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Gehypte Apps ebenfalls (ich versuche, möglichst wenige Apps auf dem Smartphone zu haben). Die Apps, die ich brauche, suche ich.
Hast du denn das Gefühl, dass dir dadurch was entgeht? Oder dass du nicht „mitreden“ kannst?
Viele Grüße
Jan
Hallo Jan!
Das Thema Social Media Abstinenz hat mich dieses Jahr auch sehr beschäftigt. In meinem Fall war alles klar: ich brauche es nicht. Und dementsprechend habe ich mich auch verhalten. Instagram gelöscht. Twitter gelöscht. Facebook bin ich grad dabei. Youtube gelöscht. Und ich vermisse es nicht. Ganz im Gegenteil, ich empfinde es als Befreiung aus einem Laufrad, welches nur anderen Strom liefert.
Ich führe einen Blog, der nun weniger sichtbar wird, aber dafür ist das wahre Leben nun sicht- und greifbarer. Ich habe Deinen Blog jetzt ganz altmodisch abonniert und werde Dir hin und wieder einen Besuch abstatten 😉
Viel Erfolg weiterhin wünscht Dir Charlene… http://www.charlene-mc-kennie.de 😉
Hallo!
Ich habe mich seit einigen Jahren von Facebook verabschiedet.
Es fing damit an – das dürfte Die Zeit gewesen sein, wo das Thema Flüchtlinge ziemlich stark aufgegriffen wurde, dass ich sämtliche extremistische Bilder von Arbeitskollegen auf meiner Pinnwand hatte. Dies konnte ich dann systematisch ausmerzen indem ich solche Sachen ausblenden ließ.
Dann packte ich meine Pinnwand nur mit Strickzeug und miezis voll.
Dann ging ich aber auch aus sämtlichen Gruppen, da es immer der selbe Zirkus war. Einige spielten sich als Gruppenaufseher auf, andere als heilige, wiederum andere nutzten es augenscheinlich NUR zum Dampf ablassen nach Feierabend oder andere aus heiterem Himmel beleidigen war ihr Hobby♀️
Dann löschte ich meine Fotos, hörte auf lange Beiträge zu posten, da ich merkte, dass die User eigentlich nur für sich selbst oder bestenfalls gemeinsamen Fotos auf FB interessieren .
Ich meldete mich ab. War aber dann auf instagramm ein Jahr oder ein halbes etwas aktiv, stellte aber fest, dass ich dort eigentlich auch nur miezenfotos anschaue und dies ja auch im Browser tun kann und dafür nicht hinweise über meine private Person im Internet verstreuen muss.
Ich fiel gefallen daran so gar nicht gefunden werden zu können im Internet. Fast wie wenn ich nie existiert hätte. Ich möchte keinen Kontakt zu meiner Vergangenheit. Ich möchte in die Zukunft blicken und bisher spielt da social media definitiv keine Rolle.
Aber es ist mir noch nicht genug. Ich möchte es irgend wann einmal schaffen auch whatsapp hinter mich zu lassen. Aber das geht leider erst wenn alle mit denen ich in Kontakt stehe- auch aus beruflichen Gründen ebenfalls umsteigen sonst wäre ich schon längst NUR bei Threma oder Telegramm.
Angesehen davon hab ich auch mal spekuliert ganz back to the roots zu gehen und es mal mit einem Nokia 3210 zu probieren – aber ob ich da konsequent bleiben kann, bezweifle ich im Moment
Ach ja und noch was – bei mir ist aber leider trotz radikalen social media Ausstieg das handy daddeln an die Stelle getreten. schaue trotz allem nicht weniger ins handy als zuvor …
Vielen Dank für das Teilen deiner Erfahrungen!
Ich habe dieses Experiment jetzt selber gestartet da ich eine Fehlgeburt hatte und ich erstmal mit mir selber klar kommen will.
Mein Mann hatte noch nie Social Media. Bewundere ich total.
Mal sehen wie es bei mir klappt.
Ich wünsche dir alles Gute für diese schwere Zeit!
Guten Morgen!?
Vielen Dank für das Teilen deiner Erfahrungen!
Ich habe seit 2 Jahren kein Facebook, seit 1 Jahr kein Instagram mehr und nun seit 1 Woche kein Whatsapp mehr. Ich habe keine Entscheidung bereut und es sortieren sich ,,Freunde“ aus. Die Ruhe ist eigentlich das Beste: Keine Werbung, unwichtigen Informationen und kein Stalking von ehemaligen Freunden.^^
Mache weiter so! Freue mich Gleichgesinnte zu finden! Liebe Grüße aus Gera
Hallo Katha,
danke für deinen Kommentar! Wie kommst du ohne WhatsApp zurecht? Wie bleibst du mit Freunden in Kontakt? Telefoniert ihr oder habt ihr andere Lösungen?
Liebe Grüße
Jan