Es ist so eine Sache mit den »good vibes only«. Ich verstehe den Wunschgedanken – ich meine, wohl jeder hat Sehnsucht nach einer durch und durch guten Welt. Doch anfreunden kann ich mich mit der Idee nicht. Ich gehe noch etwas weiter: »Good vibes only« sollte kein Leitspruch sein – außer man sucht Unglück.
Die Bedeutung von good vibes only
Das Urban Dictionary schreibt:
What all the white girls put in their Twitter and Instagram bios, regardless of whether they know the meaning or not.
Bei Instagram und Twitter wird mit »good vibes only« um sich geworfen – bekannt. Küsschen links, Like rechts, alle haben sich lieb. Viel interessanter ist, der letzte Satzteil: » … unabhängig davon, ob sie die Bedeutung kennen oder nicht.«
Was in der Social-Media-Bio so wunderbar klingt, ist eine Falle.
Wo Licht ist, ist auch Schatten
Yin und Yang. David und Goliath. Imperium und Republik. Himmel und Hölle. Tag und Nacht. Ebbe und Flut.
Aus Angst vor schlechter Laune, negative vibes, verkrümeln wir uns hinter einer Utopie, die dem Realitätscheck nicht standhält. Wir wollen keine Aversion. Wir wollen Perfektion, eine schöne heile Welt. Nicht mit Happy End, sondern mit Happy Everything.
Wir schrauben unsere Erwartungen an das Leben in schwindelerregende Höhen. Die Gefahr: Umgeben wir uns – z. B. in Social Media – nur mit Menschen, die uns »positive vibes only« vorspielen, ertappen wir uns dabei, wie wir uns fragen: Warum gibt es bei mir auch bad vibes? Was mache ich falsch?
Nichts. Das ist das Leben.
Heute Morgen hab ich in mein Tagebuch geschrieben:
»Der Denkfehler hinter ›good vibes only‹ ist die Annahme, dass dadurch nur noch Gutes geschehen würde. Natürlich kann und sollte man sein Bestes geben, um sich nicht durch Dinge runterziehen zu lassen, die außerhalb des eigenen Einflussbereichs liegen. Aber ›only‹ impliziert, dass es nur noch gute Schwingungen geben soll. Doch wenn alles gut ist, wird das ehemals Besondere zum Mittelmaß, zur Normalität. Und man steht wieder am Anfang.«
Positive vibes only? Human vibes only!
Die Sehnsucht nach Positivität auf Dauerschleife sollten wir meiner Meinung nach als das verstehen, was er ist – ein Hilferuf. Was uns gut täte, wäre die Rückbesinnung auf das, was das Leben ausmacht. Es ist nicht immer alles toll. Und so zu tun, als wäre es das, hilft nicht.
Das Leben ist nicht nur hell. Und gewiss auch nicht nur dunkel. Es ist ein Mischmasch, ein unvorhersehbares Auf und Ab. Es ist bunt, genauso wie die Emotionen, die es in uns hervorruft.
Wie Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun während eines Vortrags gesagt hat:
Der Regenbogen geht nur auf, wenn Sonnenstrahlen und Regen vorhanden sind.
Und vielleicht weichen die »positive vibes only« ja irgendwann »human vibes«.
Bis bald
Jan
Nikolai Weidner meint
Geblendet von dem Handy-Licht liegen wir nicht nur im Bett, es scheint es als ob wir uns zu gerne auch im Kopf blenden lassen: von Pixeln, Illusion und Faulheit.
Erschreckend wie schnell das „tschaka positiv ding“ normal wirken kann
Danke für den Aufruf zu „Human Vibes only“
Jan Rein meint
Danke für deinen Input, Nikolai!
Bea meint
Super Artikel, Jan! Mir geht dieses Dauer-Positive in sozialen Netzwerken seit einiger Zeit auf die Nerven. Es passt einfach nicht zum echten Leben! Schön auf den Punkt gebracht 🙂
Celina meint
Realitätsverfälschung?
Bekanntlich übertreibt man ja mit allem aber du..
Hast du so ein Problem damit, dass Menschen positiv denken oder versuchen nur das Positive im Leben zu sehen?
Meiner Meinung nach ist das KEIN Hilfeschrei
Vielleicht versuchen sie selbst immer besser drauf zu sein? Oder möchten sich nur mit Menschen umgeben die positiv sind? Weißt du es? Nein? Dann schreib auch nicht drüber.
Genau solche Menschen wie du die heut zu Tage ALLES schlecht machen müssen, weil es nicht eurer Meinung entspricht, machen das Leben echt schwer!
Realistisch sein ist schön, aber ohne Optimismus kommst du nicht weit. Und da bin ich viel viel viel lieber ein lebensfroher Opimist als ein ständig nörgelnder Realist.
Jan Rein meint
Liebe Celina,
du schreibst von Übertreibung … lies dir doch bitte nochmal deinen Kommentar durch. Du schreibst „Genau solche Menschen wie du die heut zu Tage ALLES schlecht machen müssen …“ Mache ich wirklich „ALLES“ schlecht? Lies doch auch meinen Artikel nochmal. Ich schreibe doch, dass sowohl positive Gedanken wichtig sind, aber es ist eben auch wichtig, Negatives zuzulassen.
Und nein, ich habe kein Problem damit, dass Menschen positiv denken. Aber ich glaube nicht, dass es gut ist, nur positiv zu denken.
Dann schreibst du: „Weißt du es? Nein? Dann schreib auch nicht drüber.“ Worüber soll dann überhaupt irgendwer schreiben dürfen? Nur über sich selbst? Dann dürftest du folgerichtig auch nicht über meinen Kommentar schreiben, geschweige denn mir vorzugeben versuchen, worüber ich schreiben darf. Deiner Logik zufolge weißt du ja auch nicht, was ich denke und hättest somit kein Recht, darüber zu schreiben. Meiner Meinung nach ist das keine Richtung, die wir als Gesellschaft einschlagen sollten.
Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Positive vibes sind super! Aber bitte nicht positive vibes only. Denn das Leben ist nunmal nicht nur toll und super und schön und perfekt und Gänseblümchenpflücken. Falls dein Leben nur toll und super und schön und perfekt ist und du mit positive vibes only gut fährst, dass freut es mich ehrlich für dich. Bloß entspricht das eben nicht der Realität, in der die meisten Menschen unserer Welt leben.
Jörg meint
Niemand, absolut niemand kann dauerhaft positiv gestimmt sein. Eine positive Grundhaltung schon, das ist was anderes. Aber wahrscheinlich ist in dem Artikel auch eher dieses oberflächlich-dauerhafte, leicht infantile „Immer-Gut-Drauf-Sein“ gemeint. Aber für Follower wird eben immer die Sonnenseite gezeigt. Ich finde es armselig. Ich brauche eine schlechte Tage, damit ich die guten um so mehr schätzen kann.
Alena meint
Lieber Jan,
Diesen Artikel finde ich total super geschrieben und auch sehr wahr, von meiner Perspektive aus. Ich persönlich habe mich viel zu oft schlecht gefühlt und steckte monatelang in dem Gedanken fest, die einzige auf der Welt zu sein der es in manchen Situationen so ergeht. Wie auch ihr früher schon mal geschrieben habt, bin ich ebenfalls für mehr Authentizität im Internet (und realen Leben sowieso). Die unangenehmen Situationen und Gefühle kennt jeder und sie gehören dazu, sind eben wichtig, denn sie lehren uns so viel über uns selbst und unsere Einstellung. Nur durch sie können wir uns besser kennenlernen und verändern 🙂
Finde die aufgesetzte Positivität auch ganz nervig – aber kann mich mit denen, die echt einen happy moment teilen auch freuen.
Danke für den tollen Blog!
Liebe Grüße,
Alena
Jan Rein meint
Liebe Alena,
du bist absolut nicht die Einzige! Und seien wir mal ehrlich: Glück empfinden man oder nicht – aber sich ständig das Glücklichsein einzureden, hilft einem nicht auf dem Weg. Viel eher zeigt es doch: Ich bin aktuell nicht glücklich, sonst müsste ich es mir ja nicht einreden.
Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße!
Jan
Alena meint
Das ist ein interessanter Gedanke, sich das Glücklichsein einreden müssen. Hab ich noch nie so betrachtet! Danke für den Anstoß, höre gerade deine Podcast Episoden durch in ruhigen Momenten 🙂
Jan Rein meint
Das freut mich, Alena! 🙂
Norman meint
Hallo Jan!
Ich finde gut mal etwas zu diesem Thema zu lesen. Ich habe eine komplett andere Meinung dazu, aber respektiere deine vollkommen. Lege dir einfach kurz meine Gedanken dar, es geht ja um Austausch. Ich habe einige Jahre durch eine innere Haltung und befeuert durch die doch sehr gesellschaftskritische Subkultur HipHop ein sehr düsteres Weltbild mit mir herum getragen. „Der Bürger und das Establishment, die sind das System. Und das System knechtet uns! Alles scheiße, die Freigeister haben eh schon verloren. good vibes only? Leck mich!(…)“ in etwa so. Ich hatte vor einem Jahr von meiner eigenen Haltung die Schnauze voll und bin genau zu dieser Art Mensch geworden. Man könnte den Spruch nun überall finden, wo ich war. Ich lebe ihn, weil ich ihn offen kommuniziere. Seit es so ist, bin ich gesünder, zufriedener und erfolgreicher geworden und habe sehr viele wunderbare Menschen kennengelernt. Unser gemeinsamer Nenner ist, dass wir negatives tatsächlich nicht zulassen möchten. Uns ist klar, dass es auch schlechte Zeiten gibt. Aber in denen muntern wir uns nur gegenseitig auf und sorgen für gute Laune und kein Gejammer. Ich bin überglücklich mich dazu entschieden zu haben Schlechtes einfach auszuklammern, denn für mein Leben trifft zu: „Die Geister, die ich rief“. Und ein gesunder Hedonismus funktioniert für mich perfekt, auch wenn ich die Welt damit nicht rette und bei aller möglicher Kritik an diesem Lebensmodell.
Beste Grüße
Jan Rein meint
Hey Norman!
Danke für deine Sichtweise. Ich sehe deinen Punkt absolut und kann es auch nachvollziehen. Ich glaube auch, dass die meisten Menschen, die sich GVO auf die Fahne schreiben sich dessen bewusst sind, dass nicht wirklich alles toll ist. Was ich allerdings kritisch sehe, sind die Echokammern Facebook, Instagram und Konsorten. Nehmen wir an, jemand mit psychischen Problemen oder jemand, der sich einfach in einer schwierigen Lebensphase befindet (Tod eines geliebten Menschen, Trennung, Jobverlust) nutzt Instagram und dort werden immer wieder (durch Selbstauswahl und algorithmische Verstärkung) GVO propagiert. Dann wird diese Person in ihrem digitalen Umfeld ständig mit tollen Körpern, Leben, gesundem Essen, einer Utopie, konfrontiert, die einfach überhaupt nicht auf ihr Leben zutrifft. Was dann passiert, liest, hört und sieht man immer öfter. Das ist das Problem, was ich sehe und weshalb ich den Beitrag geschrieben hatte.
Deine Art Hedonismus kann ich wie gesagt nachvollziehen und danke dir für deinen Kommentar. Hast du dich schon mit den Lehren Epikurs befasst? Das geht so in die Richtung und könnte dir gefallen, falls du was mit antiker Philosophie anfangen kannst.
Viele Grüße
Jan
Bettina meint
Hallo lieber Jan!
Bin auch ein 92er Jahrgang und stöbere gerade in deinem Blog. =) Was du hier schreibst, finde ich wirklich sehr, sehr gut! Insbesondere auch dieser Artikel. Das mit den „good vibes“ ist ja vielleicht fast vergleichbar mit den Bildern der perfekten Supermodels und dem Streben nach Schlanksein und/oder Sixpack. Eine Art „Realitätsverzerrung“. Denn natürlich gibt es auch mal Schlechtes. Was mir das irgendwie noch einmal so klar gemacht hat, war ein Video über Yoga-Philosophie mit dem Thema Balancehaltungen. Ganz banal, aber da hat es irgendwie Klick gemacht.
Also: weiter so! Finde ich echt gut, was du machst und schreibst.
Noch ein ganz ganz GANZ großer Buchtipp zum Thema digitalisierte Welt, Idealismus, Werte und Ethik, Zukunft der Menschheit – und das verpackt in eine spannende Geschichte: „Die Tyrannei des Schmetterlings“ von Frank Schätzing.
Ich fand es der Hammer, habe es gelesen und dann gleich darauf nochmal als Hörbuch gehört. Lebensverändernd! 😀
Alles Liebe
Bettina
Jan Rein meint
Hallo Bettina,
„good vibes only“ ist auf jeden Fall vergleichbar mit perfekten Modelfotos – nicht selten wird beides gemeinsam gepostet 😉
Vielen Dank für den Buchtipp! Das Buch schlummert schon seit VÖ auf meiner Leseliste, aber bisher hat mich der Umfang vom Lesen abgehalten. Ich mag Romane bis 500 Seiten gerne, darüber wird es für mich gerne mal anstrengend. Aber vielleicht wäre das Hörbuch dann eine Alternative, für längere Auto- und Zugfahrten.
Liebe Grüße
Jan