Die harte Entzugsphase ist überstanden. Langsam beginne ich, mein Leben ohne Social Media zu genießen. Ohne mit dem Finger auf jene zu zeigen, die soziale Netzwerke wie Instagram in jeder freien Sekunde nutzen. Ich habe meinen Frieden damit geschlossen. Und es geht offenbar nicht nur mir so.
Im zweiten Monat ohne Social Media ist mir eines besonders aufgefallen: Mir begegnen immer mehr Menschen, Artikel und Forschungsergebnisse, die auf einen Wendepunkt – einen Tipping Point – der Social Media Nutzung hindeuten.
Ein Beispiel: Die kürzlich veröffentlichte Befragung 5000 britischer Jugendlicher zwischen 11 und 18 Jahren zeigte, dass es 63 % von ihnen egal wäre, wenn es Social Media nicht gäbe. 71 % hatten schon einen Digital Detox gemacht und würden es jederzeit wieder tun.
Natürlich kann all das bloß der Bestätigungsfehler sein (confirmation bias): Weil ich auf Social Media verzichte, suche ich unterbewusst jene Informationen aus, die mein Handeln bestätigen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht merken tatsächlich immer mehr Menschen, dass das ständige Vernetztsein seinen Tribut fordert.
Mich erreichen wunderbare E-Mails und Briefe von Menschen aller Altersgruppen, die auf Social Media verzichten oder es testen wollen. Zum Beispiel hat mir eine ganz liebe Frau, 63 und mit einer Firma für Inneneinrichtungen in Kopenhagen, geschrieben. Sie beobachtet den Trend zum Altmodischen und Nostalgischen schon lange bei Möbeln. Und dann macht sie mich noch auf den neuen Trend aufmerksam, der bisher an mit vorbeigegangen ist: Häkeln.
Die Besinnung auf Ursprünglichkeit kann man auch in vielen anderen Lebensbereichen beobachten. Wie die Paleo Ernährung und das Barfußlaufen. Oder Tauschhandel statt Besitz. Oder Schallplatten. Auch die Sehnsucht nach mehr Ruhe scheint en vogue. Man denke nur an Achtsamkeit, Yoga und Slow Food.
Vielleicht ist es ja so: Je mehr Fortschritt, desto größer die Sehnsucht nach Ursprung. Nach Retro. Nach Omas Klamotten. Je näher wir dem »Ziel« kommen, desto mehr sehnen wir uns zum Startpunkt zurück. Oder vielmehr dem Gefühl, das wir hatten, bevor wir losgelaufen sind. Ich weiß es nicht.
Was ich weiß, ist, dass ich die Schönheit des Verzichts genieße. Ich mag regelmäßigen Kaffeeentzug und Intermittent Fasting (16 Stunden fasten, 8 Stunden essen). Von beidem profitiere ich – körperlich und geistig. Und so auch vom Verzicht auf Social Media.
Ich habe nicht nur mehr Zeit. Ich sauge auch weniger Informationen und – in meinen Augen noch viel wichtiger – Meinungen auf. Social Media Diät ist auch Informationsdiät. Und Meinungsdiät.
Es ist schön, nicht über alles Bescheid zu wissen, was Freunde gerade machen. So entsteht neuer Gesprächsstoff. Das soziale Netzwerk im ursprünglichen Sinn profitiert vom Verzicht auf digitale soziale Netzwerke.
Es ist auch schön, wieder einen begrenzteren, eher selektiven, Meinungs-Pool zu haben. Gute Freunde. Eltern. Mentoren. Oder einfach nur sich selbst. Und die Zeit zu haben, die abertausenden Meinungen, die wir eh schon in uns tragen zu reflektieren, prüfen und vielleicht auch manche loszulassen.
Bis bald
Jan
Letztes Monats-Update: Der erste Monat ohne Social Media
Pia meint
Wieder ein schönes Update! Danke Jan! Wolltest du nicht noch was über dein Zeitmanagement im zweiten Update schreiben?
Jan Rein meint
Hallo Pia,
danke für die Erinnerung! Ich will dem Thema einen eigenen Artikel widmen, daher ist hier jetzt doch nichts darüber zu finden.
Liebe Grüße
Jan