Seit drei Monaten lebe ich ohne Social Media. Und was soll ich sagen? Die zurückliegenden Monate gehören zu den erkenntnisreichsten meines Lebens. Das liegt selbstverständlich nicht nur am Social Media-Entzug. Aber er ist ein Teil davon.
Wie meine ich das? Nun, in den drei Monaten ohne soziale Netzwerke habe ich mich so intensiv mit mir selbst beschäftigt, wie nie in meinem Leben. Dass mir wegen meines Social Media-Entzugs zwei Stunden täglich frei wurden, ist unbestreitbar damit verbunden.
Zeit: ein Mangel, der keiner sein müsste
An was mangelt es uns? Uns modernen Menschen, die wir täglich alles bekannte Wissen der Menschheitsgeschichte in unseren Hosentaschen tragen? Uns, die wir jederzeit mit fast jedermann in Kontakt treten können, uns kaum mehr vor der Natur fürchten müssten, sondern eher vor uns selbst?
Uns mangelt es an Zeit. Das ist paradox, so sind es nach wie vor 24 Stunden, die wir täglich haben. Und doch ist keine Zeit zu haben unsere liebste Ausrede. Keine Zeit zu haben ist unser Joker, den wir nur all zu gerne spielen, wenn uns eigentlich geliebte oder zumindest geschätzte Menschen, um Aufmerksamkeit bitten. Wir haben genug Zeit. Lediglich unsere Prioritäten müssen wir überdenken.
Und trotzdem sind wir gehetzt. Spürst du auch diese Grundgehetztheit? Und das macht keinen Sinn. Eigentlich müssten wir vor lauter Freizeit im Kollektiv die Wochentage vergessen. Mehr Menschen als je zuvor kennen Kriege nur aus Geschichtsbüchern. Wir haben im Gesamten gesehen nicht mit zu wenig, sondern zu viel Essen zu kämpfen. Uns geht es im Vergleich zu den Generationen vor uns so verdammt gut. Und überhaupt: Wir – und ich spreche vor allem von mir und meiner Generation – haben eh zu viel von allem.
Zu viel Aufregung. Gleichzeitig zu viel Wattebausch-Modus. Zu viel Fett, Zucker und Salz. Gleichzeitig zu viel Sitzen. Zu viel Koffein. Zu viel Hüftspeck. Zu viel Isolation.
Da ist es. Zu viel Isolation durch zu wenig Zeit. Zu wenig Zeit, weil wir uns die Zeit nicht nehmen. Zum Greifen nah, doch sie scheint uns durch die Hände zu gleiten wie … Sand, ein Aal – alle Vergleiche nur Zeitverschwendung.
Zeitverschwendung. Gutes Stichwort. Wie viel Zeit verschwenden wir pro Tag? Damit zu versuchen, anderen Menschen zu gefallen, die wiederum versuchen uns zu gefallen, nur damit beide Parteien sich umdrehen und darüber lästern, wie wenig sie einander gefallen. Damit zu versuchen, fremde Träumen zu verwirklichen, zu realisieren, dass wir sie nicht erreichen können und ihnen dann auf Ewig nachzutrauern. So als wären es unsere, obwohl sie es nie waren.
Sie waren schon immer fremde Träume. Und wir haben nur geglaubt, sie seien unsere, weil wir uns lange genug von ihnen berieselt gelassen haben. Wir haben sie aufgenommen, obwohl sich unsere Intuition gegen sie währte, als wären es Fremdkörper. Jetzt sind sie in uns und wir füttern unsere falschen Traumvorstellungen in jeder freien Minute. Weil wir eigentlich wissen, dass es falsch ist, geben wir uns schnelle und leicht zu beschaffene Dopamin-Schübe. Durch Social Media. Durch Frustshopping. Durch Frustfressen. »Friss, friss, friss und friss«, sagen wir unserem Geist, »friss und stirb«.
Mehr Zeit ohne Social Media
Und was habe ich mit der freigewordenen Zeit gemacht? Immerhin hat mein Jahr 2018 rund 30 Tage mehr, weil ich ohne Social Media lebe. (2 Stunden pro Tag * 365 Tage im Jahr = 30 Tage). Mehr denn je gelesen hab ich (1,3 Bücher pro Woche). Und während der restlichen Zeit, die ich ohne Social Media zur Verfügung hatte, habe ich intensive Introspektion betrieben. Versucht, mich besser kennenzulernen.
Und dann habe ich das Bedürfnis gestillt, über das, was ich derzeit erlebe, zu sprechen. Ich schreibe darüber, weil ich sowieso immer schreibe. Trotzdem wollte ich noch eine, auf eine andere Weise, intime Art mit dir zu kommunizieren. So fiel die Wahl auf einen Podcast.
»Bewusst online sein« heißt er und ist ab sofort bei iTunes, Spotify, SoundCloud und im Webplayer auf meiner Seite verfügbar.
Darin geht es um das Leben im digitalen Zeitalter. Vor allem darum, wie man das Leben im digitalen Zeitalter erlebt und nicht nur dahindigitalisiert. Ich spreche also über meinen Social Media-Entzug, FOMO, wie Social Media unser Essverhalten beeinflusst; digitaler Minimalismus ist auch ein Thema. Man könnte sagen es ist das Thema.
Außerdem habe ich den Monat genutzt, um ein E-Book zu schreiben. Darin findest du 50 Aphorismen, kurze Essays oder einfach mal nur einen Satz zu insgesamt zehn Themen. Auch hier das Thema – entschuldige die wenigen Überraschungen: einen achtsamen Umgang mit der digitalen Welt zu entwickeln. Es ist übrigens kostenlos und du kannst es runterladen, wenn du dich für meinen Newsletter einträgst. Das kannst du z. B. unter diesem Beitrag tun.
Was ich im dritten Monat ohne Social Media nun völlig umgekrempelt habe, ist meine Morgenroutine. Auch wenn ich nicht gerne von Routine spreche, weil es streng genommen keine ist. Es ist eine Idealvorstellung, wie ich sie in Wahrheit nur in 50 % der Fälle umsetze. Aber das reicht mir schon für den Augenblick. Es reicht, um mich deutlich besser zu fühlen.
So sah mein Morgen bis vor kurzem aus: Aufstehen, Pinkeln, iPhone an, WhatsApp, Facebook, Instagram und Mails checken.
Jetzt schalte ich bis eine Stunde nach dem Aufstehen weder mein iPhone, noch meinen Laptop oder gar den Fernseher an. Ich setze mich hin und führe Tagebuch. Drei Seiten nehme ich mir vor (im Journal von Julia Cameron: »The Artist’s Way«*). Nachdem die erste Seite sich meist nur quälend langsam füllt, vergesse ich in der Mitte von Seite zwei die Zeit.
In der ersten Stunde des Tages versuche ich aktiv zu sein. Sei es mit Sport oder ohne. Hauptsache aktiv und nicht reaktiv. Ich verbanne all das aus meinem Fokus, was gleich nach dem Aufstehen versucht, mich in einen reaktiven Geisteszustand zu versetzen.
Was ich mir außerdem angewöhnt habe: Gleich morgens ein paar Zeilen stoische Philosophie zu lesen. Aktuell sind es Epiktet (»Das Buch vom geglückten Leben«*) und Seneca (»Von der Seelenruhe usw.«*), die es mir besonders angetan haben.
Und was soll ich sagen? Mein Morgen ist viel entspannter. Und nicht nur das. Ich meine, dass gleich der restliche Tag besser wird. Ich bin fokussierter, lasse mich nicht so leicht stressen und widerstehe leichter diversen Versuchungen.
Soweit die wichtigsten Erkenntnisse aus dem dritten Monat ohne Social Media. In meinem Podcast habe ich nochmal ein Fazit für dich aufgenommen. Hör am besten gleich rein:
Bis bald
Jan
Anja meint
Hi Jan! Danke für deinen Podcast! Dein Thema spricht mir aus der Seele und hat mich inspiriert einen eigenen Blogartikel darüber zu schreiben und deinen Podcast zu empfehlen! Weiter so! Ich freue mich schon auf die nächsten Folgen 🙂
Liebe Grüße,
Anja
von
kleine-weltretter.de
Jan Rein meint
Hi Anja,
mich freut es, dass dir mein Podcast gefällt. Danke für die lieben Worte dazu!
Liebe Grüße
Jan