Wir leben in einer Gesellschaft, die sich vor Langeweile fürchtet. Glaubst du nicht? Dann sieh dich um. An jeder Bushaltestelle, in jedem Wartezimmer, am Flughafen, Bahnhof, beim Frisör – immer wenn es die Möglichkeit für Langeweile gibt, greifen wir zum Smartphone. Oder beschallen uns mit Musik. Oder lesen irgendwas. Zur Not auch mal Klatsch.
Ich bin nicht anders. Auch ich flüchte viel zu oft vor der Langeweile. Multiple Reize sind für mich so normal, dass mir schon langweilig wird, wenn ich nur eine Serie schaue. Daher »muss« der Griff zum Handy zwischendurch schon sein. Ich könnte ja ein Kackhaufen-Emoji verpasst haben.
Was ist Langeweile?
Der Duden beschreibt Langeweile »als unangenehm, lästig empfundenes Gefühl des Nicht-ausgefüllt-Seins, der Eintönigkeit, Ödheit, dass aus Mangel an Abwechslung, Anregung, Unterhaltung, an interessanter, reizvoller Beschäftigung entsteht« [1].
Langeweile ist unangenehm. Sie ist lästig, öde, eintönig. Unserem unruhigen Geist fehlt ein Stimulus.
Ich erinnere mich noch an dieses Gefühl. In Kindheitstagen war mir ab und zu schon mal langweilig. Dann hab ich in der Nase gepopelt, mir utopische Storys ausgedacht, versucht Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Ganz ehrlich: Wann war dir zum letzten Mal langweilig? Ich kenne das Gefühl kaum mehr. Wenn ich darüber schreibe ist es vielmehr so, als würde ich über eine gräulich verfärbte Erinnerung schreiben, die auf dem abgelegensten Stellplatz meines Hirns geparkt ist.
Langweilige Schönheit
Wie hat Johann Wolfgang von Goethe schon gesagt:
Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langweile zu haben, so könnten sie Menschen werden.
Langeweile ist der unangenehme, lästige, öde und eintönige Gefühlszustand, der die Grundlage von Weiterentwicklung ist. Sie ist die Brutstätte für Ideen. Aus ihr erwachsen unkonventionelle Sichtweisen.
Ideen sind Kinder der Langeweile.
Gehen wir davon aus, dass Langeweile das Gegenteil von Unterhaltung ist, kommen wir zu folgendem Schluss: Wenn wir permanent angenehmen Zeitvertreiben nachjagen, bleibt keine Zeit dafür uns Dinge zu überlegen, die die Zeit überdauern.
In unseren modernen Alltag übersetzt heißt das: Sind wir ständig am Smartphone, bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Das müssen nichtmal besondere Gedanken sein. Ein simples Reflektieren über das eigene Leben, die Richtung, die wir eingeschlagen haben, das Jetzt, kann schon ausreichen, um einen neuen Blick auf das große Ganze zu liefern.
Ohne Langeweile keine Evolution
Als unsere Ahnen vor etwas mehr als 10.000 Jahren die landwirtschaftliche Revolution einläuteten, hatten sie plötzlich mehr Zeit. Mehr Zeit für Fortpflanzung und mehr Zeit zum Nachdenken. Die Zeit, die die frühen Bauern nicht mehr mit Umherziehen und Jagen verbrachten, wurde teilweise von der Langeweile ausgefüllt.
Während dieser langweiligen Tagesabschnitte konnten sich unsere Vorfahren mehr Gedanken über ihre Existenz machen. So entstanden Theorien, die unser Leben noch heute beeinflussen. Diese nachhaltigen Entwicklungssprünge entstanden nicht, während unsere Ahnen beschäftigt und abgelenkt waren.
Mir kommen die besten Ideen immer dann, wenn ich nicht abgelenkt bin. Kennst du sicherlich.
Wie soll es auch anders sein? Wie sollen großartige Ideen entstehen, während wir die Zeit im Wartezimmer mit Klatschzeitschriften totschlagen oder in den Werbepausen zwischen zwei Fußball-Halbzeiten Newsfeeds checken?
Langeweile als Status Quo?
Doch ist es nicht ein Zeichen von permanenter Langeweile, dass wir uns dauernd ablenken müssen? Mit immer neuer Technologie jagen wir krampfhaft nach Unterhaltung, fast so als wären wir auf der Flucht vor uns selbst.
Hier geht es nicht um krankhaft ausgeprägte Langeweile, die häufig durch die Flucht der Betroffenen in den Drogensumpf ans Tageslicht kommt. Es geht darum, wieder mehr Zeit mit sich selbst zu verbringen. Ohne Ablenkung. Es geht darum, Langeweile als Nährboden für Kreativität zu verstehen. Und als vermeintliche Sackgasse, deren Ausgang wir kennen und kontrollieren können.
Wir dürfen nicht zulassen, dass wir zu einer Gesellschaft verkommen, deren größte Angst es ist, alleine mit sich zu sein. Das ist es nämlich, was Langeweile so bedrohlich erscheinen lässt. In ihr gibt es kein Entkommen, keine Ablenkung, keine Retusche unseres Ich.
Wir brauchen Langeweile. In ihr können wir den Lärm unserer Welt runter regeln. So lange, bis wir uns selbst wieder hören.
Bis bald,
Jan
Zum Nachschlagen und Weiterlesen
[1] Duden: Langeweile
Eine kurze Geschichte der Menschheit von Yuval Noah Harari
Our Boredom, Ourselves in New York Times von Jennifer Schuessler
Boredom is good for you, study claims in The Guardian von Amelia Hill
Why do we get bored? Video von Vsauce
Wiebke meint
Es ist tatsächlich so, dass die meisten versuchen, der Langeweile zu entkommen, anstatt sie einfach mal auszuhalten.
Lustig finde ich, dass du den Duden zitierst. Ich habe nämlich (im Rahmen meiner Abschlussarbeit und anschließend auf meinem Blog) auch über Langeweile geschrieben und die Stelle auch zitiert. Sie ist einfach so treffend. Wenn es dich interessiert und du möchtest, poste ich noch den Link.
Schönen Abend noch.
Wiebke
Jan Rein meint
Ja, poste doch gern den Link zu deinem Artikel 🙂
Liebe Grüße
Jan
Wiebke meint
Das hier ist mein Text dazu: http://fräulein-schwarz.de/2016/04/04/langeweile/ Den lieben Goethe hab ich auch zitiert.
Wo ich grade deinen Titel lese, fällt mir ein, dass ich über Angst auch geschrieben habe: http://fräulein-schwarz.de/2016/04/04/angst/ Hängt ja irgendwie alles miteinander zusammen.
Jan Rein meint
Vielen Dank für die Links, bin sehr gespannt!
Frederike meint
Sehr toller und inspirierender Beitrag! Danke dafür 🙂