Es gibt viele Gründe, warum ich mich auf ein Jahr ohne Social Media freue. Und es gibt mindestens genauso viele unnötige Beschäftigungen, denen ich in sozialen Netzwerken täglich nachgehe und die mir nicht guttun. Unter all dem gibt es drei Dinge, die ich lange Zeit bei mir selbst beobachtet und als besonders unnötig einkategorisiert habe. Viel Spaß mit meinen Top 3 Social Media Beschäftigungen, die ich in 2018 garantiert nicht vermissen werde.
1. Hate-watching
Deine Lieblingsaccounts hast du abgegrast, aber die App einfach zu schließen widerstrebt deinem Bedürfnis nach Unterhaltung. Du bahnst dir deinen Weg durchs digitale Dickicht, durchwühlst haufenweise Datenmüll und gelangst schließlich zu Personen, Künstlern, was auch immer, die du einfach nur peinlich und dumm findest. Doch einfach wegschauen geht nicht. Stattdessen regst du dich über sie auf; gerne allein, aber noch lieber in Gesellschaft.
Dieses Phänomen hat einen Namen: Hate-watching. Geschaffen wurde er im Kontext des altehrwürdigen Fernsehens und beschreibt das Anschauen publizistischer Inhalte des Hasses wegen. Ich kenne das von der Sendung Bauer sucht Frau. Ein paar Mal im Jahr setze ich mich hin (warum auch immer meist dann, wenn ich irgendwo im Hotel bin) und schaue solche Sendungen bewusst, um mich währenddessen über sie aufzuregen.
Hate-watching ist, wenn du dich über das, was du konsumierst, aufregst – und trotzdem nicht damit aufhörst.
Dasselbe Phänomen lässt sich auch auf unser Verhalten in sozialen Netzwerken übertragen. Sicherlich hast auch du diese ein, zwei, drei (gerne auch mehr) Accounts, die du alle paar Tage mal checkst, um dich aufzuregen.
Was schreibt der schon wieder für eine gequirlte Scheiße.
Bei der ist echt jedes neue Bild schlampiger als das letzte.
Die haben ja leicht reden mit ihrem goldenen Löffel im Mund.
Hate-watching im Social Web ist weit verbreitet. Und es soll wohl auch Menschen geben, die dem Phänomen ihre Bekanntheit verdanken – und damit ihren finanziellen Erfolg, vom geistigen will ich nicht sprechen.
Hate-watching ist nicht gleich Hate-watching
Wenn ich mich ein paar Mal im Jahr vor die Glotze pflanze, um mich über die Alliterations-Dichte und die seelischen Abgründe der Redakteure aufzuregen, ist das irgendwie ja noch lustig. Wenn ich es in sozialen Netzwerken allerdings fast täglich tue, weil ich mich dort ohnehin täglich tummle, wird es unlustig.
Irgendwann befindet sich die Psyche nur noch im Wechselbad der Extreme. Auf der einen Seite der (scheinbar) positive Like-Rausch und auf der anderen Seite das zweifelsfrei negative Hate-watching. Und weil die Feeds in sozialen Netzwerken kein Ende kennen, so wie es zumindest bei Bauer sucht Frau eins gibt, wird daraus eine Endlosschleife. Und selbst das beste Lied wird irgendwann kacke, wenn es auf Endlosschleife läuft.
2. Motivation suchen
Der Hashtag #motivation bringt auf Instagram 125.068.492 Treffer. Es gibt unzählige Motivations-Accounts für scheinbar jeden Lebensbereich: Fitness, Ernährung, Liebe, Kindererziehung. Und die Inhaber reichweitenstarker Accounts schmücken ihre Bilder gerne mit motivational quotes von motivational personalities.
Dream big.
Failure is not an option.
Be a voice not an echo.
Viele der zitierten motivational personalities haben ironischerweise ziemlich genau das Gegenteil von aufsehenerregender Social-Web-Aktivität betrieben. Sie haben hoch konzentriert daran gearbeitet, ihre Ziele zu verfolgen. Sich durch den Kampf um Aufmerksamkeit wildfremder Menschen zu bremsen, wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen.
Die Suche nach Motivation in sozialen Netzwerken gleicht dem Denkfehler, dem Seminar-Junkies erlegen sind: Das natürliche Auf und Ab von Zielstrebigkeit und Tatendrang wird mit externen Impulsen glattgebügelt. Übrig bleibt eine mit fremden Zitaten gepflasterte Gerade. Also doch ein Echo.
Wer nicht dauernd motiviert ist, fühlt sich im Social Web schnell überholt – ach was, überrundet. Wie soll man denn auch die Kraft von Rückschlägen, Fehlern, Zweifel, Angst, Langeweile, Leere nutzen, wenn in jedem zweiten Post gepredigt wird, man müsse einfach big dreamen.
Und die Sache hat noch einen Haken: Wenn du dich von externer Motivation anpeitschen lässt, wirst du deine interne vielleicht niemals finden. Und dann kommst du an den Punkt, den Joseph Campbell mit folgenden Worten beschrieben hat:
Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als eine Leiter zu erklimmen und oben zu erkennen, dass du an der falschen Wand stehst.
3. Der Kampf mit dem Algorithmus
Was wird über den »neuen« Instagram-Algorithmus gemeckert. Gibt es sonst nichts mehr, was meine Generation beschäftigt? Ist unser größtes Übel ein sich auf die Selbstinszenierung nachteilig auswirkender Algorithmus? Was ist denn los mit uns?
Zum Teil kann ich das Gewimmer und Gebettel ja nachvollziehen. Diktiert die eigene Reichweite den Marktwert, ist das natürlich doof. Aber ich will diesem Algorithmus-Bashing mal ein paar Gedanken entgegenbringen, die auch dir helfen können deinen Frieden mit den Algorithmen dieser Welt zu schließen.
Der Algorithmus ist wichtig (für Instagram)
Ganz egal, was du auch anstellst, der Algorithmus – oder besser: das Unternehmen, das ihn programmieren lässt – sitzt am längeren Hebel. Unternehmen wollen und sollen Gewinne erwirtschaften, sonst verlieren sie ihre Daseinsberechtigung.
Im Falle von Instagram heißt das: Die Plattform muss weiterhin Nutzerzahlen, Aktivitäten, Nutzungsdauer usw. steigern, um für Werbekunden attraktiv zu bleiben. Gäbe es keinen effektiven Algorithmus, der den Nutzern die jeweilig (vermeintlich) besten Inhalte präsentiert, verlöre Instagram schnell seinen Status. Es würde wie Twitter, ein Ort, an dem sich fast nur Journalisten tummeln, weil die Feeds bei mehr als zwei Händevoll Accounts denen man folgt, so zu wuchern, dass es keinen Spaß mehr macht.
Stell dir vor, du würdest jeden einzelnen Post deiner 300 Accounts im Feed dargestellt bekommen – Chaos. Und auch bei dieser Option, würdest du sicherlich nicht jeden Post sehen.
Mo Money Mo Problems
Nehmen wir an du bist Influencer. Dann verdienst du mit deiner Reichweite Geld. Je mehr Kommentare, Likes und Fans du hast, desto mehr kannst du einem Unternehmen in Rechnung stellen. Genau so verdienen auch soziale Netzwerke Geld. Sie sind sozusagen du in groß.
Wie du auch wollen sie die Interaktion mit ihren Fans (Nutzern) maximieren. Um das zu erreichen, wollen auch maximal skalierte Influencer relevante Inhalte veröffentlichen. Und weil maximal skalierte Infleuncer riesige Konzerne sind und relevante Inhalte von ihren weniger skalierten Abkömmlingen (auch Nutzern) veröffentlicht werden, setzen sie alles daran, relevante Inhalte von nicht so relevanten zu trennen. Diese Aufgabe übernimmt der Algorithmus.
So ist jede Wut – egal, wie berechtigt sie sein mag – gegen den Algorithmus auch eine Wut gegen sich selbst, sofern man Influencer ist. Einfach weil es dasselbe System ist, nur in unterschiedlichen Maßstäben.
Keine Abhängigkeit von einer Plattform
Sorry, aber wer sich von einem Unternehmen abhängig macht, dessen Wert genauso wie der eines Influencer bemessen wird, ist selbst Schuld. Instagram (und alles, was danach kommt) wird nicht aufhören, Algorithmen einzusetzen, die dem Unternehmen dienen.
Deshalb mein bescheidener Rat: Mach dich nicht von einer fremden Plattform abhängig. In diesem Satz zeigen sich gleich drei Probleme, die unnötigen Stress bei Social Media Nutzern verursachen:
- »einer« – Verliert die eine Plattform an Attraktivität, bist du weg vom Fenster (siehe Vine, MySpace etc.)
- »fremden« – Das Wort sagt schon alles
- »Plattform« – Plattformen kommen und gehen (hier sind Social-Web-Netzwerke gemeint); siehe Punkt 1
Diversifikation, Baby! Bastle dir für wenige Euro im Monat (Hosting + Domain + WordPress) eine Seite. Diese sicherst du regelmäßig und speicherst sie an einem sicheren Ort ab. Das Ding gehört dir, egal ob dein Hosting-Anbieter pleite geht oder nicht. Hier kannst du dann auch Inhalte veröffentlichen, E-Mail-Adressen sammeln und – wenn du willst – deine Reichweite an Unternehmen verkaufen.
3 unnötige Social Media Beschäftigungen – Fazit
Nach einigen Wochen intensiver Selbstbeobachtung, habe ich also diese 3 Social Media Beschäftigungen ausgesucht und meine Gedanken dazu aufgeschrieben. Was ich daraus mitnehmen, sind drei Gründe, weshalb ich diese Zeitvertreibe für mindestens 12 Monate aus meinem Leben verbannen werde.
Die Überdosis Hate-watching bringt zu viel Böses in mein Leben, das auf Unnötiges gerichtet ist.
Pseudo-motivierende Beiträge motivieren zu oft zur falschen Zeit aus den falschen Gründen.
Der Kampf gegen Algorithmen ist ein Kampf, den ich nicht kämpfen will.
Bis bald,
Jan
PS: Ende Januar 2018 kommt das erste Update zur Social Media Diät. Abonniere den RSS-Feed oder trag’ dich in den Newsletter ein, wenn du es nicht verpassen willst – Social Media Beiträge dazu wird es ja nicht geben.
Lucie meint
Wie wahr! Auch ich ertappe mich immer öfter bei dem, was du Hate-watching nennst und es nervt mich danach auch immer. Ich glaube, ich werde auch nächstes Jahr mal eine Social-Media-Pause einlegen – wenngleich auch bestimmt kein Jahr.
Liebe Grüße,
Lucie
Jan Rein meint
Hey Lucie,
danke für deinen Kommentar! Hate-watching ist, glaube ich zumindest, sehr weit verbreitet. Wie läuft es? Hast du schon ein Päuslein eingelegt?
Liebe Grüße
Jan
David meint
Ich lese diese Zeilen fast 5 Jahre nachdem sie geschrieben wurden und sie sind immer noch aktueller als je zuvor. Hut ab. Kann nur absolut zustimmen.
Jan Rein meint
Danke dir!
Alex meint
Lese mich grad 2023 durch deinen Blog, erkenn mich in vielem wieder. 🙂
Und ohja, das Hate Watching, kenne ich zu gut… und so unangenehm es ist, das zuzugeben: Viele von uns machen es.
Hat sicher einen psychologischen Hintergrund… vermeintlich fühlt man sich erstmal besser, aber es tut absolut nicht gut.
Mache gerade über Weihnachten 3 Tage Social Media bzw Instagram/Threads Pause. Tag 1 war überraschenderweise gar nicht schwer.
Leider bin ich beruflich für’s Marketing schon (noch) drauf angewiesen, darüber bekommt man eben doch schneller Sichtbarkeit und mit Leuten in Kontakt – dafür bin ich ja auch dankbar.
Und hey, Content Erstellung und gezielt bei ausgewählten Accounts vorbeischauen, ein paar Kommentare schreiben oder DMs beantworten ist ja auch nicht das Problem.
Es ist das sinnfreie Rumgescrolle, was einen nicht mal irgendwie weiterbringt und wertvolle Lebenszeit verschwendet.
Ich vermisse oft das Internet von früher, als ich überwiegend in Foren lang und ausgiebig über bestimmte Themen diskutiert, mich mit Freunden auf ICQ unterhalten oder Fotos auf Deviantart hochgeladen hab.
Liebe Grüße
Alex